Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie – eine grenzüberschreitende Strategie zum Schutz unserer Gewässer

In seinem 1809 veröffentlichten Roman „Wahlverwandtschaften“ schreibt Johann Wolfgang von Goethe: „Das Wasser ist ein freundliches Element für den, der damit bekannt ist und es zu behandeln weiß“. Gut 200 Jahre später stellt die Entwicklungsorganisation Germanwatch in ihrem „Klima-Risiko-Index“ fest, dass Deutschland zu den 20 am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen der Welt gehört. Ein Ranking, in dem sonst vor allem Entwicklungsländer und Schwellenstaaten zu finden sind. Stürme, Hitzewellen, Dürre und vor allem Überschwemmungen sind die Kennzeichen dieser Entwicklung. Überschwemmungen – haben wir also unsere Vertrautheit mit dem Wasser im Sinne Goethes verloren? Werden wir für ein Fehlverhalten bestraft?

Tatsächlich ist es so, dass wir, einmal abgesehen vom globalen Klimawandel, auch in der Bewirtschaftung unserer Gewässer in den letzten Jahrzehnten Fehler gemacht haben, die uns jetzt einholen. Flussläufe wurden seit den 1950er und 1960er Jahren in großem Stil umgeleitet, begradigt, reguliert. Dabei fehlte ein Gesamtkonzept. Entscheidend für den Umfang der Maßnahmen waren die Grenzen von Gebietskörperschaften, also Kommunen, Landkreisen, Regierungsbezirken oder Ländern. Man regulierte das Gewässer in seinem jeweiligen Zuständigkeitsbereich und verlagerte die Probleme auf die nächste Gebietskörperschaft. Damit wanderten die Probleme mit dem Flusslauf und wurden nie wirklich gelöst, weil eine gesamtheitliche Betrachtung fehlte.

Diese wurde erst im Jahr 2000 mit der Verabschiedung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie verbindlich. Im Vorwort zu diesem bahnbrechenden Verordnungswerk heißt es: „Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss …

… es ist erforderlich, eine integrierte Wasserpolitik in der Gemeinschaft zu entwickeln.“

Die Wasserrahmenrichtlinie beschäftig sich sowohl mit Oberflächengewässern als auch mit Grundwasser. Ihre Hauptziele sind, durch eine gesamtheitliche Betrachtung das Ökosystem Wasser wieder ins Gleichgewicht zu bringen, Schadstoffe zu reduzieren, die Wassernutzung zu regulieren sowie die Auswirkungen von Dürren und Überschwemmungen zu mindern. Die Fristsetzung der EU war sehr ehrgeizig, sie erwartete eine Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in den Mitgliedsstaaten bis 2015. Zwei jeweils sechsjährige Verlängerungsperioden wurden den Staaten eingeräumt, die die ursprüngliche Frist nicht einhalten konnten. Bis 2027 soll aber die Umsetzung der Richtlinie komplett abgeschlossen sein.

Fakt ist, dass die osteuropäischen sowie die skandinavischen Staaten schon sehr weit mit der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie vorangeschritten sind, während Deutschland diesbezüglich noch erhebliche Defizite aufweist. Das liegt vor allem an den bereits erwähnten umfangreichen Regulierungseingriffen, die nun wieder korrigiert werden müssen.

Das betrifft auch unseren Landkreis Waldeck-Frankenberg. Der Fachdienst Umwelt des Landkreises, insbesondere die Untere Wasserbehörde, befindet sich in einem intensiven Dialog mit den Städten und Gemeinden. Zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie werden intensive Gespräche mit den Kommunen geführt und Überzeugungsarbeit geleistet. Allein im ersten Quartal 2020 fanden mit 11 der 22 Großgemeinden Abstimmungsgespräche statt. „Ziel der Gespräche war es, das aktuelle Maßnahmenprogramm darzustellen und einen Ausblick auf den Bewirtschaftungsplan 2021 bis 2027 und die damit verbundenen Verpflichtungen und Chancen zu geben“, sagt Ralf Enderlein, der Leiter unseres Fach-dienstes Umwelt. Er weist auch darauf hin, dass teilweise auch noch in Klärsysteme investiert werden muss, um die Qualität der Gewässer zu verbessern.

Einige Gemeinden sind sehr aktiv, bei anderen müssen wir noch Überzeugungsarbeit leis-ten. Für 2021 sind Erstgespräche mit den Kommunen Allendorf (Eder), Battenberg, Broms-kirchen, Edertal und Frankenau vorgesehen. Der Dialog mit Diemelsee, Diemelstadt, Haina (Kloster), Lichtenfels, Twistetal und Willingen (Upland) soll fortgesetzt werden. Auch ich als Landrat bin in diesen Diskussionsprozess eingebunden und es ist mein ausdrückliches Ziel, die Europäische Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 im Landkreis komplett umgesetzt zu haben. Das ist sehr ambitioniert, aber ich merke, dass immer mehr Menschen die Zeichen der Zeit erkannt haben und hinter uns stehen. Es geht bei den angestrebten Maßnahmen ja nicht um kosmetische Korrekturen, sondern um die nachhaltige Verbesserung unserer lebenswichtigen ökologischen Systeme. Das ist eine Herausforderung, die sich uns allen gleichermaßen stellt, von deren Bewältigung wir aber als Individuen wie auch als Gesellschaft profitieren. Und nicht nur wir, sondern auch folgende Generationen.

Ein natürlicher Bachlauf

Ein wichtiger Teilaspekt bei der Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist die Wiederherstellung von ursprünglichen und naturgemäßen Wasserläufen. Viele Bäche sind in den vergangenen Jahren durch „scheibchenweise“ Regulierungsmaßnahmen aus ihrem natürlichen Kontext herausgerissen worden. Ein Bachlauf ist ein Organismus, jeder unbedachte Eingriff kann sein Gleichgewicht zerstören.

Fließgewässer werden grob in die Abschnitte Quelle, Oberlauf, Mittellauf, Unterlauf und Mündung unterteilt. Insgesamt weist ein solcher Bachlauf ein Gefälle auf, die Bodenbeschaffenheit wechselt von Fels und Steinen im quellnahen Abschnitt über Kies, Sand und Sediment im weiteren Verlauf. Auch Temperatur und Sauerstoffgehalt sind jeweils unterschiedlich. Letzterer ist besonders im Ober- und Mittellauf sehr hoch, während die Konzentration an Quelle und Mündung geringer ausfällt. Den einzelnen Abschnitten sind auch bestimmte Tier zuzuordnen: Insektenlarven, Fische und Vögel. Im von Buchen und Ahorn überschatteten Quellbereich findet man mit etwas Glück die Larven des Feuersalamanders. Im Oberlauf des Fließgewässers sind vor allem Äsche und Forelle heimisch, im Mittellauf findet man Barben und Brachsen, an der Mündung Barsche. Natürlich variiert der Besatz von Gewässer zu Gewässer.

Im Uferbereich kann man Wasseramseln und Eisvögel beobachten, wenn das Ökosystem „Bachlauf“ und die umgebenden Auen intakt sind. Im Auenbereich findet man vor allem Weichgehölze wie Weiden und Erlen, aber auch Pappeln, Eschen, Ulmen und Stieleichen. Flora und Fauna im und am Gewässerlauf lassen für den geübten Beobachter schnelle Rückschlüsse auf die Wasserqualität zu.

Schon als Kind bin ich gerne mit meinen Freunden an den Ufern der Bäche entlanggelaufen. Wir haben Steine umgedreht, um zu sehen, was sich darunter verbirgt, wir haben Dämme gebaut, Wasserräder geschnitzt, uns über die ebenso faszinierenden wie kunstvollen Gehäuse der Köcherfliegen gefreut und die Steinfliegen beobachtet. Das sind prägende Erlebnisse, die ich auch künftig jungen Menschen ermöglichen möchte.

Mit Hilfe der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie möchte ich den „Idealzustand“ unserer Gewässer, der ja eigentlich nur der im Plan der Natur vorgesehene Soll-Zustand ist, wiederherstellen. Bis 2027 bleibt uns nicht mehr viel Zeit, deshalb ist es wichtig, dass wir alle, die in Kreis und Kommunen verantwortlichen Entscheidungsträger, aber vor allem die Menschen im Landkreis, uns gemeinsam für diese Ziele einsetzen. Profitieren wird jeder einzelne von uns, vor allem aber unsere Kinder und Enkel.